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Kulturwissenschaften - Zeit und Ewigkeit

Foto: © pixabay.com / KELLEPICS

 

Dieser Teil von „Einblicke in die Kulturwissenschaften“ geht auf die Fragen ein, wie Zeit und Ewigkeit beschrieben werden können.

Zeit wird in den Kulturwissenschaften als ein grundlegendes, kulturelles Konstrukt verstanden, welches in jeder Kultur anders aufgefasst werden kann. Für die deutsche Kulturwissenschafterin Aleida Assmann ist Zeit ein wichtiger Faktor, um das menschliche Handeln und Erleben beschreiben zu können, da sich der Mensch dem historischen und geistigen Zustand jener Gesellschaftsform anpasst, in welcher er lebt. Die Kultursoziologie sieht das Denken und Handeln eines Menschen nicht als angeboren an, sondern als aus Erfahrung herausgebildet, welche der Mensch in seinem Leben macht. Wie ein Mensch handelt, was er denkt und wie er fühlt, all dies ist abhängig von jenem Habitus, in dem er sich befindet. Der Begriff des Habitus lässt sich nach dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu, als die Grundhaltung eines Menschen zur Welt und zu sich selbst verstehen.

Als ein wichtiger Denker fungierte Martin Heidegger. Er sprach von Sein und Zeit. Für Heidegger ist Zeit der mögliche Horizont für das Dasein und um ihn zu verstehen, muss er messbar sein. Im Dasein schöpft der Mensch sein Leben aus und versucht sich stets zu perfektionieren und den Sinn seines Lebens zu finden. Das Wesen der Endlichkeit lässt die Welt unheimlich erscheinen. Durch den Alltag (Objectus) lernt der Mensch die Erfahrungen der Zeitlichkeit kennen. Hierdurch resultiert das Gewissen, welches auch beinhaltet, Verantwortung zu übernehmen und Empathie walten zu lassen, so Heidegger.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind Abstraktionen des Zeitempfindens des Menschen, deren Bedeutung sich im Laufe eines Lebens wandeln können. Der Kulturhistoriker Michael Maurer ist der Ansicht, dass der Mensch Zeit nur in Form der Zeitlichkeit, also der Vergänglichkeit wahrnehmen kann. „Die entscheidende Bedingung menschlichen Lebens ist seine Zeitlichkeit: dass uns Zeit, da wir sterblich sind, nicht beliebig zur Verfügung steht, sondern endlich ist“, so Maurer.

Der Begriff der Ewigkeit ist ein essentieller Bestandteil innerhalb des Zeitkonzeptes, bleibt aber, was seine Definition anbelangt, vage. Im 18. Jahrhundert festigte der Anthropologe Friedrich Joseph Schelling die Begriffsauffassung von Ewigkeit als die unendliche Dauer, also eine Dimension, welche jenseits aller zeitlicher Bedingtheit existiert. Im Idealfall ist Ewigkeit als die Überwindung der Zeit zu verstehen.

Konzepte des kulturwissenschaftlichen Zeitverständnisses

In der Antike entstanden grundlegende Konzepte für das kulturwissenschaftliche Zeitverständnis. Diese Konzepte orientieren sich an der griechischen Mythologie:

Kronos war ein Titan der griechischen Mythologie und der Sohn von Uranos (Himmel) und von Gaia (Erde). Der Sage nach entstieg Gaia dem Chaos und bildete zusammen mit ihren Geschwistern das erste Göttergeschlecht in der griechischen Mythologie. Gaia und Uranos zeugten zahlreiche Kinder. Einige seiner Kinder, die Hekatoncheiren, schaurig-schöne Wesen mit 50 Köpfen und 100 Händen, und die Kyklopen, Wesen mit einem Auge in der Stirn, verabscheute Uranos von ganzem Herzen. Er sperrte sie in den Tartaros, einem Gebiet hinter der Unterwelt. Gaia zürnte ihm und brachte ihre Kinder gegen Uranos auf. Sie stiftete Kronos an, seinen Vater mit einer Sichel zu entmannen. Kronos wurde zum Herrscher, doch er lebte in der ständigen Furcht, von seinen eigenen Kindern überfallen zu werden, daher fraß er sie vorsichtshalber auf. Massimo Cacciari, ein italienischer Philosoph, schrieb hierzu: „Die Tat von Kronos lässt nur offenkundig werden, was das Wesentliche des Wesens begründet: sein völliges Nichtigsein. Die Zeit kann nur das Sterbliche zum Tode verurteilen; sie kann bloß Nichts zu Nichts bringen.“
Uruboros ist die Bezeichnung für eine Schlange, welche sich selbst vermehrt und in den Schwanz beißt. Es handelt sich um ein Symbol für Ewigkeit, ein Kreislauf.
Kairos ist ein glücklicher, vollendeter Augenblick, der die Ewigkeit überdauert. Es handelt sich um Glücksmomente, die wie die Ewigkeit im Augenblick angesehen werden. Es überschreitet die Grenze des Sagbaren und Darstellbaren.
Dike ist eine richtende Macht, die den Zeitraum der Existenz festlegt. Wie lange zum Beispiel jemand lebt.
Aion bezeichnet die Nichtigkeit und Begrenztheit des menschlichen Daseins. Die Gegenwart genügt dem Menschen, um glücklich zu sein, und der Mensch kümmert sich nicht um das, was nicht mehr ist oder möglicherweise nie sein wird.

Das Zeitverständnis im Wandel

Im Mittelalter wurde zwischen der natürlichen („astronomisch-physikalischen“) und der historischen („sozialen“) Zeit unterschieden, so der österreichische Kulturwissenschafter Reinhard Kacianka. Zeit wurde als von Gott erschaffenes Naturphänomen angesehen.

Das Zeitverständnis änderte sich erneut, als im späten 13. Jahrhundert Arbeitsleistung mit Zeit verknüpft wurde. Jean-François Lyotard: „Geld ist materialisierte Zeit.“

Heute in der Neuzeit ist eine „Ungleichzeitigkeit“ nach Ernst Bloch festzustellen. Peter Dinzelbacher meint hierzu: „Das Zeitempfinden driftet in der Stadt und auf dem Lande immer mehr auseinander.“ Er fügt hinzu, dass: „Die rein künstliche Gliederung der Uhrzeiten dominiert den Tag. Spätestens mit der Einführung von Gas- und elektrischem Licht können alle Stunden gleichwertig zur Arbeit herangezogen werden, kann die Nacht ‚kolonisiert’ werden.“

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