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Kulturwissenschaften - Rhapsode und Demiurg

Ein Gemälde von Sir Lawrence Alma-Tadema (1885): A Reading from Homer. Foto: © philamuseum.org

 

Dieser Teil von „Einblicke in die Kulturwissenschaften“ beschäftigt sich mit dem Rhapsoden und dem Demiurgen sowie der Mediatisierung und deren gesellschaftlichen Folgen.

Durch den Gebrauch einer Schrift änderte sich die Art und Weise, wie Wissen und Informationen vermittelt werden konnten. Als einer der Kritiker des Mediums der Schrift trat der antike griechische Philosoph Platon in Erscheinung. Platon war der Ansicht, dass die Schrift nicht das Wissen des Menschen vermehrte, da der Leser eines Textes bloß glaubte, etwas zu wissen. Wissensvermittlung musste in den Augen von Platon stets durch die mündliche Lehre erfolgen, denn nur durch ausführliche Diskussionen und Gespräche (diskursive Wissensvermittlung) konnten Inhalte entwickelt werden.

Sänger und Dichter waren Platon suspekt. Seine Bedenken nährten sich aus der etymologischen Wurzel von Poesie, welche in dem Wort poieīn liegt, das so viel bedeutet wie: machen, verfertigen, schöpferisch tätig sein. Platon verbannte die Verbreiter der Poesie aus der vollkommenen und rationalen Ordnung seines Idealstaates (politeīa), da „Hirngespinste“, Hervorbringungen der Phantasie, seine politeīa hätten stören können.

Der fahrende Sänger und die Weltenschöpfer

Rhapsoden so wurden fahrende Sänger im antiken Griechenland genannt. Der Begriff leitet sich vom griechischen Verb ῥάπτω ab, das mit „zusammennähen“ übersetzt werden kann, und vom Nomen ᾠδή, das „Gesang“ bedeutet. Rhapsoden trugen bei feierlichen Anlässen oder Festen weniger Gesang vor, sondern dichteten eher. Sie lösten die einfachen Dichter der Aöde ab, welche vorwiegend Gesang vortrugen. In den Dichtungen der Rhapsoden wurde Sprache rhythmisiert und zuweilen mit einer Khitara (Vorstufe einer Gitarre) begleitet. Ein breiter Teil der Bevölkerung erhielt durch sie einen Zugriff auf die großen Epen der Antike. In Wettbewerben konnten Rhapsoden ihre Künste unter Beweis stellen, wobei es darum ging, Verse fehlerfrei und in der richtigen Reihenfolge aufzusagen. Kritisiert wurden Rhapsoden dafür, dass sie die Verse der großen Dichter wiedergaben, ohne jedoch eine Eigenleistung zu erbringen.

Im Mittelalter erfüllte der Spielmann die Rolle des Rhapsoden und im 19. Jahrhundert wurden unter dem Begriff des Rhapsoden die Rezitationen (das Vorlesen, Anm.) von bekannten Werken verstanden.

Demiurgen sind in den philosophischen und theologischen Lehren die „Weltenschöpfer“, also Personen, die öffentlich wirken und die Rhapsoden beeinflussen. Für den deutschen Philosophen Martin Heidegger gibt der Rhapsode bloß Texte wieder, welche er selbst nicht verfasst hat, er dient somit nur als Medium und Sprachrohr des Demiurgen. Der Demiurg hingegen ist jene Person, die Raum für Phantasie geschaffen hat und versucht, bestehende Strukturen neu zu verfassen. Für Platon ist der Demiurg ein erhabenes Wesen, das nur das Bestmögliche will und hervorbringt.

Mediatisierung und ihre gesellschaftlichen Folgen

Durch Schrift wurde die Sprache mediatisiert. Sprache wurde also in das neue Medium der Schrift umgewandelt und konnte so vielen Menschen zugänglich gemacht werden. Die zunehmende Mediatisierung (zunehmender Einfluss der Medien auf die Gesellschaft, Anm.) veränderte die Rolle des Rhapsoden zum Demiurgen. Als Experte für die schöne Sprache schöpfte der Rhapsode seine Dichtungen aus dem kollektiven Ich, während der Dichter dies als eigenständiges Individuum aus sich selbst erschuf.

Dieses „Individuum“ wurde jedoch erst mit der Erfindung des Buchdrucks und der Alphabetisierung der Gesellschaft möglich, meint der österreichische Kulturwissenschafter Reinhard Kacianka. So schrieben zum Beispiel Mönche die Bibel ab, ohne selbst zu wissen, was sie da zu Papier niederschrieben, eben, weil sie nicht lesen konnten. Durch den Buchdruck wurde die Schrift und hiermit einhergehend auch die Sprache für die Allgemeinheit zugänglich.

In der Informationsgesellschaft übernehmen „Digital-Schamanen“, also DJs, die Rolle von Rhapsoden und Künstler schwingen sich auf zu Demiurgen, die sich eigene symbolische Welten erschaffen, so Kacianka. Die Dichter „provozieren eine fröhliche Apokalypse der völligen Beliebigkeit und Austauschbarkeit scheinbar verbindlicher Zeichensysteme. Sie fassen Kunst als Semiose auf, durch die sie die scheinbar verbindliche Macht des vorherrschenden Zeichenüberflusses dekonstruieren“, schreibt Kacianka. Kacianka erläutert weiter: „Als ‚Kommunikationsguerilla‘ stören sie die Ordnung der Dinge auf der symbolischen Ebene und verweisen damit auf die Nichtigkeit“ der herrschenden Ordnung.

Eine Vielzahl von Menschen schafft sich mit den Massenmedien eine Parallelwelt und lebt fast ausschließlich in diesen „zweiten Welten“, wie Facebook, Twitter und Konsorten. Der Fokus liegt darauf, möglichst viele Likes und Freunde auf diesen Portalen zu sammeln; die Realität hat keine Bedeutung mehr. Der Mensch formt sich eine Scheinwelt, hinter der er sich verstecken kann.

 

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