AMS-Schulungszentrum
Sinnlos oder doch sinnvoll?
Über die Zustände in den AMS-Schulungen wurde bereits in den öffentlichen Medien berichtet und fast jedem sollte zumindest eine Geschichte aus der im Volksmund als „Dodelkurs“ verschrienen Aktivierungsmaßnahme des Arbeitsmarktservice bekannt sein.
Doch was genau erwartet Menschen ohne Arbeit in einem AMS-Schulungszentrum?
Im Folgenden gebe ich einen persönlichen Einblick in das AMS-Schulungszentrum Graz, Abteilung Jugend (Menschen bis einschließlich 25 Jahre).
Als Auftragnehmer des AMS hat es sich das Schulungszentrum Graz (SZG) zur Aufgabe gemacht, junge Erwachsene bei der Suche nach einer Dienst- oder Ausbildungsstelle zu unterstützen. Darüber hinaus bietet die Institution eigene Kurse an.
Für jeden Teilnehmer, egal ob Erstbesucher oder Wiederholer, ist der Ablauf der ersten Woche gleich. Für alle gleich sind auch die Kurszeiten: Montag bis Donnerstag von 08:00 Uhr bis 16:30 Uhr und am Freitag von 08:00 Uhr bis 12:00 Uhr.
Es gilt eine strenge Anwesenheitspflicht. Jede Abwesenheit muss dem SZG im Vorhinein mit Angabe eines triftigen Grundes (Vorstellungstermin, Arztbesuch, Gerichtstermin, usw.) gemeldet und im Nachhinein mit einer Zeitbestätigung belegt werden. Überdies findet in der Früh und nach der Mittagspause eine Anwesenheitskontrolle statt.
Die Teilnehmer müssen (unabhängig von ihrem Alter) stets von zumindest einem Trainer betreut werden. Während der Kurszeiten muss dem Trainer bekannt sein, wo genau sich seine Teilnehmer aufhalten. Teilnehmer sind somit entweder anwesend, wovon der Trainer weiß, oder fehlen unentschuldigt.
Ein unentschuldigtes Fernbleiben (auch dreimaliges Zuspätkommen) hat eine Sperre des Arbeitslosengeldes für den jeweiligen Tag und freitags für das gesamte Wochenende zur Folge, darüber hinaus besteht kein Versicherungsschutz. Ein freiwilliger oder eigenverschuldeter Kursaustritt zieht eine sechswöchige Bezugssperre gemäß § 10 Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) nach sich.
Der erste Tag gilt gemeinhin als „Tag der Formalitäten“.
Heute werden Zettel ausgefüllt und der Erhalt eines USB-Sticks, eines Kugelschreibers und eines karierten Blocks mittels Unterschrift quittiert.
Auch werden die Hausregeln besprochen. Dazu werden gerne die Teilnehmer in die Pflicht genommen, welche einen oder mehrere Punkte aus den Richtlinien vorzulesen haben. Die genannten Punkte werden anschließend von den Trainern näher erläutert.
Mit einer Unterschrift muss jeder Teilnehmer seine Kenntnisnahme über die Hausregeln bestätigen. Der doppelseitig bedruckte A4-Zettel „Richtlinien für ein erfolgreiches Miteinander“ muss abgegeben werden, wofür jedoch eine Kopie zurückgegeben wird.
Je nach Trainer gestaltet sich der weitere Verlauf des Tages ganz unterschiedlich.
Während meiner Zeit im Schulungszentrum mussten wir zuerst auf einem Flipchart die Frage: „Warum bin ich hier?“ beantworten. Dazu galt es mit einem roten Marker einen Strich neben die jeweilige Antwortmöglichkeit zu setzen: Freiwillig, gezwungen, geschickt worden, gemeinsam entschieden (mit AMS-Bezugsperson).
Mein Strich zierte die Option: „geschickt worden“. Wie zu erwarten, teilte sich meine Antwort und das „gezwungen“, die absolute Spitzenposition. Gerade einmal zwei der 27 Teilnehmer waren freiwillig im SZG. Für sie galten die strikten Anwesenheitspflichten nur bedingt.
Noch bevor sich die drei anwesenden Trainer (zwei Männer und eine Frau) vorstellten, mussten die Teilnehmer das tun. Jedoch nicht indem jeder kurz etwas von sich erzählte, sondern in Form eines Partnerinterviews. Das eigene Gegenüber musste anschließend der gesamten Gruppe präsentiert werden. Die Trainer ließen es sich nicht nehmen, gezielte Fragen an die jeweils vorgestellte Person zu stellen. „Warum hast du die Ausbildung nicht zu Ende gemacht?“ oder „Wo hast du noch gearbeitet?“. Die vielen persönlichen Details, die genannt wurden, gingen in der schier unüberwindbaren Masse an Informationen regelrecht unter. Bis eine Stunde nach der Mittagspause zog sich die Vorstellrunde in die Länge. Erst jetzt, wo die Motivation zum Zuhören ganz am Ende war, beschlossen die drei Trainer ihren jeweiligen Werdegang preiszugeben.
Die Frau erzählte davon, dass sie von der iberischen Halbinsel stamme und die beiden Männer ließen durch ihre Erzählung wissen, dass sie auch schon so einige Höhen und Tiefen erlebt hätten und gerade das sie als Trainer qualifizieren würde.
Es war genau 13:50 Uhr, als von der Frau entschieden wurde, dass die Gruppe nun den Film: „Das Streben nach Glück“ im großen Schulungssaal anschauen müsste. Sie verkündete, dass es üblich sei, am ersten Tag einen Film anzusehen.
Kurz vor 16:30 Uhr folgte dann noch die abschließende Führung durch das Haus, bevor der erste Tag dann doch noch zu Ende gehen durfte.
Der zweite Tag.
Heute heißt es im Computerraum einen Lebenslauf zu erstellen oder diesen zu vervollständigen.
Wenn der Teilnehmer wissen möchte, wie dieser auszusehen hat und ob sein Lebenslauf in Ordnung ist, so muss ein Trainer explizit darauf angesprochen werden. Grundsätzlich gilt: „Wer nicht schreit, wird nicht gehört“.
Die Trainer gehen nicht selbstständig auf die Teilnehmer zu. Auch werden keine Informationen über die Bewerbungsunterlagen vorgestellt. Auf Nachfrage gibt es den Verweis auf einige minimalistische Unterlagen im Netzlaufwerk.
Obwohl die meisten Teilnehmer gerade deswegen im SZG sind, weil sie Unterstützung bei der Suche nach einer Arbeits- oder Ausbildungsstelle bräuchten oder einen festen Tritt in den Allerwertesten, wird zu 100 % auf ihre (nicht) vorhandene Eigenständigkeit gesetzt.
Die Trainer putzen sich an der Eigenverantwortung der Teilnehmer die Finger ab. Sie bekommen ihr Geld schließlich auch noch, wenn jemand bereits zum fünften Mal im Schulungszentrum sitzt.
Und so werden viele Informationen, auch zu wichtigen hausinternen Abläufen, wie dem Praktikum, gar nicht erst genannt.
Wie eingangs erwähnt, bietet das SZG auch eigene Kurse an. Dabei gliedert sich der Aufenthalt im Schulungszentrum in zwei Phasen.
Phase 1: Ist die Berufsorientierung mit einer Dauer von mindestens einer Woche bis hin zu drei Wochen, in denen den Teilnehmern Informationen rund um die Bewerbung näher gebracht werden sollen. Aus eigener Erfahrung kann ich jedoch bestätigen, dass neben den offiziell vorgegebenen Themenbereichen rund um die Bewerbung oft ein improvisierter Arbeitsablauf vorherrscht. So kann es zur Aufgabe der Teilnehmer gehören, eine Murmelbahn zu bauen, einen Auszug aus dem österreichischen Staatsbürgerschaftstest auszufüllen oder ein Tangram zu lösen.
Phase 2: Umfasst Qualifikationen und Praktika.
Im Bereich Qualifikationen gibt es die auf der Homepage des SZG ersichtlichen internen Kurse. Bei den internen Kursen unterscheidet man zwischen den „freiwählbaren“ Modulen und den Pflichtmodulen. Es ist unerheblich, ob ein Pflichtmodul bereits in einem früheren Aufenthalt im Schulungszentrum besucht wurde oder ob ein grundsätzliches Interesse an dem Modul (zum Beispiel: „Neugierig machen auf Technik“ für Frauen, Dauer zwei Tage) vorhanden ist. Pflichtmodule müssen besucht werden, da es andernfalls zu einem Leistungsverlust kommt.
„Freiwählbare“ Module können u.a. den ECDL, den EBC*L, den Drehkranschein oder aber auch ein allgemeines Modul wie einen Englischkurs (Basic oder Advanced) umfassen. Voraussetzung für den Besuch eines Moduls ist die in der Betreuungsvereinbarung des AMS dementsprechend aufgelistete, berufsbezogene Angabe. So darf ein Verkäufer keinen Staplerschein machen, wenn mit dem AMS nicht die Vereinbarung über eine zukünftige Anstellung im Lagerbereich getroffen wurde.
Jedem Teilnehmer wird ein Bezugstrainer zugewiesen. Mit diesem Mann oder dieser Frau wird für die gesamte Dauer im Schulungszentrum (5 bis 16 Wochen) ein Wochenplan erstellt. Auch wenn der Bezugstrainer versucht, auf die Wünsche des jeweiligen Teilnehmers einzugehen, so entscheidet letztlich er, welche Module neben den Pflichtmodulen besucht werden müssen. Da der Aufenthalt im Schulungszentrum stets bis 16:30 Uhr (Mo-Do) oder 12:00 Uhr (freitags) dauert, müssen auch den ganzen Tag über Kurse besucht werden. Module haben eine Mindestdauer von 4 Stunden.
Die Qualität der angebotenen Kurse darf nicht zuletzt aufgrund der mangelhaften Arbeitsausstattung und der kurzen Dauer als schlecht bezeichnet werden. Weiterhin darf an der Aussagekraft der Zertifikate, welche nach Abschluss eines Kurses ausgehändigt werden, gezweifelt werden.
Alternativ zu den internen Kursen gibt es die Möglichkeit, externe Kurse zu besuchen. Bei externen Kursen gilt jedoch zusätzlich die Grundvoraussetzung, dass diese Kurse in den SZG-Kurszeiten stattfinden müssen. Ist dem nicht so, gibt es weder eine Freistellung noch eine Finanzierung des Kurses.
Im Schulungszentrum Graz gibt es einen hausinternen Betriebskontakter. Diese Person ist für alle Themen rund um Praktika und Stellenangebote zuständig.
Wurde ein Praktikum mit einer Firma vereinbart, so muss dem Betriebskontakter dies persönlich mitgeteilt werden. Andernfalls muss das ausbezahlte Schulungsgeld zurückgezahlt werden. Ein Praktikum im Ausland ist nicht erlaubt.
In einer PowerPoint-Präsentation wurden heute die angebotenen Module vorgestellt. Vereinzelt kamen auch Modultrainer vorbei. Am Ende der Präsentation galt es, einen Zettel mit einer einfachen Modulliste auszufüllen. In drei Spalten galt es, ein Interesse, eine Unentschlossenheit oder ein Desinteresse an einem Modul anzukreuzen. Der Zettel musste anschließend abgegeben werden, wodurch es im Nachhinein nicht mehr möglich ist, die exakte Anzahl und Art der angebotenen Kurse wiederzugeben.
Der dritte Tag.
Am heutigen Tag besteht noch einmal die Möglichkeit, im Computerraum seinen Lebenslauf zu vervollständigen, ein Bewerbungsschreiben aufzusetzen und ein Inserat zu schreiben.
Am Nachmittag war bei uns dann das Thema Stärken und Schwächen an der Reihe.
Angefangen hat alles mit einer einfachen Gruppenübung. Die Gruppe sollte Stärken nennen, die dann vom Trainer auf einem Flipchart niedergeschrieben wurden. Wer eine der aufgeschriebenen Stärken besaß, sollte die Hand heben und, wer dazu auch noch eine konkrete Geschichte aus seinem Leben erzählen konnte, wurde in die Pflicht genommen, diese der Gruppe zu erzählen.
Die Zuhörer mussten abschließend dann ein Feedback geben. Nachdem die Feedbackregeln jedoch erst nach der Mittagspause erklärt wurden, war die ganze Aktion mit der Rückmeldung, in meinen Augen, relativem Quatsch.
Nachdem die Gruppe allmählich warm wurde, beschloss der Trainer, einen Stapel von Karten an seine Teilnehmer auszugeben. Auf diesen Kärtchen fanden sich lauter allgemein gehaltene Stärken (zum Beispiel: Technisches Verständnis, frei vor anderen Sprechen, Sport und Bewegung, mit neuen Situationen zurechtkommen, ...). Die Aufgabe war es nun, mindestens fünf Stärken auszusuchen, dazu eine möglichst konkrete Geschichte aus dem Arbeits- oder dem privaten Leben zu finden und diese dann der gesamten Gruppe zu erzählen.
Auf jede Geschichte gab es zusätzlich zum erzwungenen Applaus, dem Feedback einzelner Teilnehmer, auch noch jede Menge Fragen von den drei Trainern.
Gleich wie am ersten Tag, war hier auch die Masse an Informationen so groß, dass bis auf wenige Schlagworte, alles Gesagte wieder im Nebel des Vergessens verschwand.
Die Erzählrunde dauerte bis in den späten Nachmittag hinein. Da jedoch erst zwei Durchgänge geschafft waren, beschloss einer der Trainer, den Ablauf zu beschleunigen. Ab sofort sollte es keinen anerkennenden Applaus mehr geben und eine Rückmeldung sollte nur noch der vorherige Erzähler liefern. So schön (oder unschön) dieser Vorschlag auch klang, nach nicht einmal vier der 25 Teilnehmern war der Arbeitstag vorbei.
Der vierte Tag stand ganz im Zeichen einer Firmengründung.
In der Früh wurde vom Trainer ein Flipchart angefertigt mit der Frage: „Was brauche ich alles, um eine Firma zu gründen“. Als klar war, dass neben einer Idee/Vision und dem geeigneten Kapital auch so simple Sachen wie Grundstück/Maschinen/Menschen und Konzession erforderlich sein würden, gab es einen Arbeitsauftrag.
Die Teilnehmer sollten in dreier Gruppen ein fiktives Unternehmen gründen. Wie sie ihre Zeit einteilten und vor allem wie konkret sie ihre Unternehmen gestalteten, konnten sie sich selbst überlegen. Die einzige Vorgabe lautete: Dass die Präsentation mit einem Flipchart abgerundet werden musste und vor der ganzen Gruppe um 14:30 Uhr beginnen würde.
Es war gleichgültig, wie gut oder schlecht am Ende das Ergebnis aussah. Auch wenn gerne gesagt wurde, dass es bei dieser Übung um Kreativität und dem Erkennen der eigenen Rolle im Team ging: Der Arbeitsauftrag war eine simple Beschäftigungstherapie für die Teilnehmer.
Der fünfte Tag war ein Paradebeispiel dafür, wie es im Schulungszentrum wirklich abläuft.
Die Trainer waren heute in einer Weiterbildung und die Teilnehmer wurden zwangsbetreut. Die Frauen mussten gemeinsam zu einem Vortrag in die AMS-Zentrale und die Männer wurden vor die Wahl gestellt: Es hieß entweder zum Thalersee zu wandern oder im Gebäude zu verbleiben.
Da es nicht erlaubt war, mit dem Auto zum Thalersee zu fahren, und ich auch keine Lust hatte, zu Fuß in einer großen Männergruppe über den Plabutsch zu spazieren, blieb ich im SZG auf meinem Stuhl sitzen. Wenig später wurden wir damit beglückt, einen Allgemeinwissenstest auszufüllen. Auf sechs einseitig bedruckten Seiten wurde von uns zuerst Erdkunde abgefragt, dann eine Art Tourismuswissen, Allgemeinwissen und abschließend Rechenbeispiele.
In der Rubrik Erdkunde musste auf der letzten Seite, der Karte der Erde, der Verlauf des Äquators und einige Länder wie Mexiko oder China eingetragen werden. Daneben wurde die Währung einiger Länder wie Russland oder Japan abgefragt. Eine eigene Seite widmete sich Österreich, seinen Bundesländern, Nachbarstaaten und den Sehenswürdigkeiten im Land.
Das Tourismuswissen forderte die Teilnehmer auf, einige Reiseveranstalter zu nennen und einige Fluglinien.
Auf einer Seite waren die Fragen zum Themenbereich Allgemeinwissen aufgelistet, darunter so Fragen wie: „Nennen Sie vier klassische Komponisten:“ oder „Wie lange ist ein Marathonlauf?“
Die Rechenbeispiele mit ihren Fragen wie: „Wie viel Gramm sind eine Tonne?“ bildeten den krönenden Abschluss dieses als überaus sinnlos zu bezeichnenden Tests.
Direkt im Anschluss an die Mittagspause folgte die Auflösung. Der Trainer ging jeden Punkt einzeln durch und fragte die Gruppe nach einer Antwort. War die Antwort richtig gegeben, ging es weiter zur nächsten Frage. So lange zumindest eine Person eine Antwort gab, war es dem Trainer völlig gleich, was die anderen Personen gerade taten und ob sie ebenfalls die Antwort auf die jeweilige Frage hätten geben können.
Das Ende dieser Woche bildete der Film „Clockwise“, auch wenn das Ende im Film offenblieb, da die Zeit dafür nicht mehr reichte...