Auf Umwegen zur Kreuzfahrt
Kurzinfo:
Route: Savona - Barcelona - Ibiza - Marseille - Savona
Schiff: Costa Favolosa (Baujahr: 2011, Länge/Breite: 290m/35,5m, Decks: 13, Passagiere: 3800, Crew: 1100)
Der größte Alptraum einer Reise: Verschlafen.
Ein guter Freund hatte spontan eine fünftägige Kreuzfahrt gebucht und nachdem ihm seine Begleitung abgesprungen war, suchte er nach einem neuen Mitreisenden. So kam es, dass er auch mich fragte: „Lust mitzufahren?“ Ich war sofort begeistert. Wann erhält man schon einmal so eine Einladung?!
Während ich mich am Vorabend dazu zwingen musste, noch ein paar Stunden weiterzuschlafen, versuchte Markus auf gar keinen Fall einzuschlafen. Überpünktlich und voller Vorfreude startete ich meine Tour. Einmal volltanken, dann noch schnell das Mautticket ziehen und schon konnte es die nächsten 6 Stunden nur noch geradeausgehen. Die Ankunft war ohne Pause für exakt 12 Uhr geplant. Das waren eineinhalb Stunden vor Ankunft des Freundes und vier Stunden bevor das Schiff in Savona ablegen würde. Jede Menge Zeit also; auch um sich noch ein paar Kleinigkeiten in der Stadt anzusehen.
Es war ein wunderschöner, sonniger Tag und alles schien einfach nur perfekt zu sein. Doch dann kurz vor dem Gardasee fing alles an zu trudeln. Zuerst verlor ich eine ganze Stunde im Stau. Gerade als ich nervös und doch auch erleichtert auf die Uhr blickte, erhielt ich eine zutiefst beunruhigende Nachricht: „Verschlafen – Zug verpasst“, so der Tenor. Gleichzeitig die Bitte, doch noch einen Umweg zum Bahnhof in Milano einzulegen; genau 8 Kilometer vor der Abzweigung in Brescia. Die eine Stunde Wartezeit in Milano nahm ich missmutig in Kauf. Hauptsache, wir würden noch rechtzeitig in Savona ankommen. Und dann nach 80 Kilometern und einer Stunde Fahrt der nächste Paukenschlag. Markus hatte in Bozen festgestellt, dass sein Zug erst um 13 Uhr in Verona ankommen würde. Ich war wie erschlagen. 13 Uhr und in Verona? Das waren 100 Kilometer in die entgegengesetzte Richtung; eine weitere Stunde Fahrtzeit inklusive.
Mein Blut kochte, ich war nicht sauer; ich war kurz vor der Explosion. Zeitlich wie auch finanziell hatte ich alles bis ins Kleinste durchgerechnet. Und nun brachte der „Freund“ diese ganze Vorbereitung zum Einsturz. Nun wollte ich allerdings ganz dringend auf das Kreuzfahrtschiff. So zwang ich mich gegen alle Regeln der Vernunft ankämpfend, zurückzufahren. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, könnten wir es ja doch noch schaffen. Ich klammerte mich sprichwörtlich an den seidenen Faden der Hoffnung.
Es war 16:30 Uhr, als wir in Savona ankamen. Das Schiff stand im Hafen und insgeheim atmete ich erleichtert aus. Nach einer nervenaufreibenden Fahrt hatten wir es doch noch geschafft. Trotzdem vergeudeten wir keine Zeit, um zum Einstieg zu kommen.
Der Parkplatz vor dem Gate war gut gefüllt, doch irgendwie war keine Menschenseele weit und breit zu sehen. Also suchte ich mir irgendwo noch einen Parkplatz. Das Wachpersonal sah mich ganz aufgewühlt an und wollte, dass wir ihm folgen. Mir schwante nichts Böses, schließlich stand das Schiff ja noch im Hafen.
Über eine Treppe gelangten wir in den ersten Stock des Terminals, wo uns einige Frauen hinter einer Theke wehleidig beäugten. Die Worte „Zu spät - Schiff verpasst“ rissen mich aus allen Wolken. Ich konnte und wollte es einfach nicht glauben, dass nach all der Tortur nun doch alles umsonst gewesen sein sollte. Und doch: Hinter der großen Glasfront stand kein Schiff mehr. Die Rezeptionistin bot uns noch an, mit dem Zug nach Barcelona zu fahren, aber 14 Stunden Zugfahrt und dazu auch noch eine Übernachtung in einem Zug, das lehnte ich aus alten Erfahrungen ab.
Geknickt von der schlechten Nachricht fuhren wir an den Strand, um uns zu sammeln und uns gleichzeitig zu überlegen, wie es weitergehen sollte. Einfach so nach Hause fahren, das wollte ich auf gar keinen Fall. Am Strand konnten wir zusehen, wie das Schiff immer kleiner werdend am Horizont verschwand. Die Stimmung war am Tiefpunkt.
Für die Nacht nahmen wir uns ein Zimmer unweit des Strandes von Savona. Mithilfe des Internets begannen wir, uns eine alternative Route zusammenzuschustern. Wir planten, mit dem Auto die Küste entlang zu fahren. In Marseille würden wir dann übernachten, um dann am nächsten Morgen nach Lyon weiterzufahren. Über Genf und Zürich sollte es wieder zurück nach Österreich gehen. Es war eine schöne Route, doch der schale Nachgeschmack blieb.
Irgendwie wollte ich noch immer auf das Kreuzfahrtschiff. So kam es dann auch, dass ich den Gedanken mit der Zugverbindung wiederaufgriff. Ich begann zu recherchieren. Und siehe da, es gab tatsächlich noch eine allerletzte Chance, auf das Schiff zu kommen. Einer der schnellsten Züge der Welt, ein TGV, würde um 08:02 Uhr in Marseille losfahren und um 12:36 Uhr in Barcelona ankommen. Das war perfekt.
Zeit zu verschnaufen blieb jedoch keine, denn um dieses Mal rechtzeitig zu sein, mussten wir bereits mitten in der Nacht losfahren. Um 02:20 Uhr wurden wir aus unseren Träumen gerissen. Anziehen, dann noch kurz die Zähne putzen, mehr Zeit blieb nicht übrig.
Knapp vor 3 Uhr starteten wir unsere Tour. Kurz noch aufgetankt, dann ging es hinauf auf die menschenleere Autobahn. Konnte man bis Ventimiglia noch mit dem in Savona gezogenen Ticket bezahlen, folgten auf französischer Seite einige Teilstücke, die separat bezahlt werden mussten. Etwas nervös sah ich zu, wie die Automaten unser ganzes Kleingeld verschluckten. Gerade als ich mir anfing, Sorgen über die Zahlbarkeit zu machen, kamen wir an eine Mautstation, ab der wieder das geschlossene System begann.
In großen Schritten kamen wir unserem Ziel näher. Auch wenn Markus meinte, noch ewig Zeit zu haben; vielleicht auch noch für einen Kaffee mit Frühstück an der Tankstelle; die Zeit schmolz uns davon. Hatten wir anfangs noch mehr als eine Stunde auf unserem Konto übrig, waren es am Ende letztlich nur noch 20 Minuten.
Wir spurteten uns also, um in der Parkgarage Gare Saint-Charles, direkt unter dem Bahnhof, einen Platz zu suchen.
Mit dem Lift fuhren wir hinauf in die große Halle, wo wir uns für 133 € ein Ticket für den TGV nach Barcelona kauften.
Erleichterung machte sich breit, als wir im Hochgeschwindigkeitszug unsere Sitze bezogen. Nach all den Strapazen hatten wir es zumindest hierher schon einmal geschafft.
Bald darauf fuhr der Zug auch schon los. Bis kurz vor die spanische Staatsgrenze kam es mir vor, als würden wir in einem alten Regionalzug sitzen. Denn von Hochgeschwindigkeit merkte ich bis dato überhaupt nichts. Die Uhrzeit gab mir Recht: Es war bereits fast 12 Uhr und unser Ziel noch sehr weit entfernt.
Ab der Grenze gab der TGV dann endlich Vollgas. Jetzt ging alles ganz schnell.
Es war 12:40 Uhr , als wir in Barcelona in der unterirdischen Station Sants ausstiegen. Im hinteren Eck der Eingangshalle holten wir uns beim McDonald‘s eine Kleinigkeit zum Essen. Derweil recherchierten wir über das Gratis-WLAN, mit welchen Verkehrsmitteln wir an den Hafen kommen konnten. Wir entschieden uns, die U-Bahn zu nehmen, da diese am günstigsten schien. Jetzt wussten wir zwar, welche Linie wir nehmen mussten und bei welchem Halt wir aussteigen sollten, doch den Abfahrtsort unserer U-Bahnlinie zu finden, das stellte sich als schwieriger heraus als gedacht.
Die vielen Gänge führten uns überall hin, nur nicht dorthin, wo wir eigentlich sein mussten. Überdies herrschte untertage ein unangenehmes, schwül-warmes Klima. So kam es dann auch, dass wir in die falsche U-Bahn einstiegen. Glücklicherweise bemerkten wir unseren Irrtum sofort, sodass wir gleich die Station wieder zurückfahren konnten. Nach einigem Hin und Her kamen wir dann endlich an der richtigen Haltestelle heraus.
Von Paral·lel waren es noch gut 800 Meter bis hinunter zum Hafen.
Von weitem konnten wir schon unser Schiff sehen, welches gerade in den Hafen einlief. Nachdem wir allerdings nicht wussten, wo genau unser Schiff anlegen würde, blieb uns nur übrig, dem Schiff hinterher zu wandern. Mit einem schweren Koffer als Gepäck. Vielleicht war gerade das keine allzu gute Idee, denn bis wir unser Schiff dann endlich erreicht hatten, waren wir bereits gute drei Kilometer zu Fuß unterwegs gewesen. Tja, und das begann sich in den Beinen bemerkbar zu machen.
Dafür hatten wir auf der Brücke zwischen dem Festland und der künstlichen Insel einen tollen Blick auf die Stadt und das Meer.
Was waren wir froh, als wir endlich am Terminal ankamen.
Jedoch verschwand die anfängliche Freude alsbald. Denn die Reederei hatte Verzögerungen bei der Auslieferung der Borddokumente, wodurch wir jetzt ohne jedwedes Dokument vor dem Terminal standen. Überdies hatte man uns aus dem Bordmanifest gelöscht, da wir in Savona nicht an Bord waren.
Bis die Hafenangestellten, jetzt bei der Reederei alle Daten angefragt hatten und bis man uns dann wieder im Bordmanifest aufgenommen hatte, durften wir vor dem Gebäude warten. Und zwar lange warten. Weit über eine Stunde saßen oder standen wir vor dem Terminal.
Keine Ahnung, wie viele Witze ich darüber gerissen habe, dass wir bei unserem Glück jetzt doch wieder nach Hause fahren müssten.
Genervt und doch glücklich betraten wir endlich das Schiff.
Mit der Information, dass wir unsere Schlüsselkarte im Zimmer vorfinden würden, machten wir uns auf den Weg, unsere Kabine zu suchen. In Savona hatten wir die Nummer unserer Kabine mitgeteilt bekommen, und genau nach dieser suchten wir. Jedoch existierte diese Zimmernummer nicht.
Nach einer Ewigkeit fanden wir die Rezeption. Hier wurde uns dann die richtige Nummer mitgeteilt. Einen endlosen Gang später waren wir dann vor der Tür. Doch die Tür war verschlossen und machte keine Anstalten, sich noch zu öffnen. Markus setzte sich auf den Boden. Er hatte keine Lust mehr, auch nur einen Schritt zu machen. Es reichte ihm. Und mir reichte es genauso.
Doch hier Wurzeln zu schlagen und auf unser Gepäck zu warten, würde uns auch nicht weiterhelfen. Also entschlossen wir uns widerwillig, zurück zur Rezeption zu gehen. Wieder folgten wir dem endlosen Gang bis zum Lift in der Mitte des Schiffes.
Was war ich froh, als wir dieses Mal dann doch noch unsere Bordkarten erhielten, um dann wieder zurück zu unserer Kabine zu wandern.
„Endlich angekommen“, das war unser vorrangigstes Ziel.
Dass die Costa Favolosa ein Riesenschiff ist, bemerkten wir nicht zuletzt an den endlos erscheinenden Gängen, die wir nicht unbedingt lieb gewonnen haben.
In der Kabine angekommen, legte ich mich aufs Bett. Ich atmete tief ein und wieder aus, bevor ich meine Augen schloss. Jetzt also waren wir endlich angekommen.
Wir blieben noch eine Weile in unserer Kabine, bevor wir uns aufmachten, etwas zum Essen aufzutreiben. Zuvor jedoch hatten wir überrascht festgestellt, dass aus dem Wasserhahn im Bad eine ungenießbare, chlorhaltige Brühe herausgeronnen kam. Völlig ungeeignet, um damit den eigenen Durst zu löschen. Und das ausgerechnet, wo wir schon einiges an Durst hatten.
Schön war es im Inneren des Kreuzfahrtschiffes auf alle Fälle, aber die miserable Wegbeschreibung führte öfters zu längeren Spaziergängen und unnötiger Sucherei. Abhilfe hätte auf jeder Etage zumindest ein Deckplan geschafft.
Nach all dem Stress genehmigten wir uns im Hauptbereich des Schiffes ein kühles Getränk. Das hatten wir uns jetzt wirklich verdient. Genauso verdient war auch das Abendessen. In feiner Kleidung begaben wir uns in das große Lokal im hinteren Bereich des Schiffes. An uns wurde eine Tischnummer vergeben. Hier trafen wir auf unsere Tischnachbarn, ein Pärchen aus Tirol.
Aus einer Liste konnten wir uns ein mehrgängiges Menü zusammenstellen. Etwas getrübt hat nur, dass alle Getränke, auch die Anti-Alkoholischen, etwas gekostet haben. Bezahlt wurde über die Bordkarte.
Nach einem vorzüglichen Essen erkundeten wir das Schiff weiter. Eigentlich auf der Suche nach dem 4D-Kino kamen wir in das mehrstöckige Theater. Kaum, dass wir uns niedergesetzt hatten, startete auch schon die Show. Mehrere Akrobaten zeigten ihr Können.
Zum Sonnenuntergang saßen wir am Heck des Schiffes und sahen zu, wie das Festland mit seinen funkelnden Lichtern immer kleiner wurde.
Im Mittelteil des Schiffes, in einer Art Hallenbad, stieg schon seit einigen Stunden eine Party. Die Musik war mitreißend, also schlossen wir uns der Party an.
Es war bemerkenswert zuzusehen, wie ab einem bestimmten Punkt die gediegenen Passagiere von dannen zogen und mit zunehmender Uhrzeit das Publikum immer jünger wurde. Bis dann um 2 Uhr der Punkt erreicht war, wo es auch uns reichte.
Wehleidig mussten wir feststellen, dass wir auf einem Schiff gelandet waren, auf dem Spanier, Franzosen und ein paar Italiener die Vorherrschaft hielten. Deutschsprachige Passagiere suchten wir bis zur letzten Stunde vergeblich.
Das fand ich sehr schade, denn Spanisch zählte nicht zu den Sprachen in meinem Portfolio.
Wir nutzten das Langschläfer-Frühstück und staunten nicht schlecht über den Ausblick, der sich uns bot. Die Stadt Ibiza mit der Festung Almudaina lag direkt vor uns.
Im Laufe des Tages entschieden wir uns für einen kurzen Spaziergang, das Schiff zu verlassen. Unweit der Anlegestelle stand ein Leuchtturm. Wir setzten uns hinunter zum Meer und genossen die warme Frühlingssonne.
Der letzte Abend klang ganz gemütlich aus, denn schon am nächsten Morgen hieß es, das Schiff zu verlassen.
Marseille. Im stürmischen Wind und leichten Regen. Hier also, knapp zwei Tage später, endete meine Kreuzfahrt und die Heimreise begann. Markus blieb noch bis Savona.
Mit dem Taxi ließ ich mich zum Bahnhof bringen. Ich bezahlte das Parkticket und machte mich 50 € leichter auf den Heimweg. Ich hatte es mir in den Kopf gesetzt, bis Savona die Autobahn zu meiden. Das hätte mir dann ungefähr 30 € an Mautkosten erspart.
Es war faszinierend, durch die lebendigen Gassen Marseilles zu fahren. Für die Entfernung zum Stadtrand von rund 10 Kilometern benötigte ich fast eine Stunde. Umso erleichterter war ich also, als es auf der Route nationale dahin ging.
Ich überquerte das Bergmassiv vor Cannes. Hier legte ich eine kurze Rast ein, bevor ich weiterfuhr und bald schon Nice durchquerte. Ab jetzt ging es die Küste entlang.
Auf einem Rastplatz direkt an der Stadtgrenze von Nice genoss ich eine tolle Aussicht. Vor mir reckte sich eine Landzunge hinaus in das tiefblaue Meer. Das Cap Ferrat. Vor mir eine verfallene Stadt auf einem Felsen.
Mit einem letzten Blick zurück auf die Grundrisse der Burg von Nice ging es weiter.
Dicht an dicht, den Ozean verschluckend, so präsentierte sich mir Monaco und die angrenzenden Orte. Vergeblich suchte ich nach einem Aussichtspunkt. Und so blieb mir nichts übrig als einfach weiterzufahren.
Doch das war auch in Ordnung, denn sieben Stunden Fahrt hatten mich müde gemacht.
Ich wechselte bei Ventimiglia auf die Autobahn und fuhr durch bis nach Savona.
Auf einem der angrenzenden Berge legte ich mich im Schutz des Waldes zur Ruhe nieder. Unvorbereitet wie ich war, blieb mir nur die unbequeme Rückbank meines Autos. Ich dämmerte vor mich hin, doch so richtig einschlafen konnte ich nicht.
Gegen 2 Uhr nachts brach ich mein Nachtlager ab und machte mich auf den Weg nach Hause.
Auch wenn die Erholung auf der Strecke blieb, so war diese Reise doch ein wahres Abenteuer; auch in finanzieller Hinsicht.