Vor der Matura noch schnell die eigenen Sprachkenntnisse aufbessern, wo könnte das am besten gelingen als im Vereinigten Königreich? Mit den Engländern Tee trinken und vielleicht am Abend noch in einem der Pubs abfeiern? So oder so ähnlich schien wohl der leise Gedanke meiner Begleitung gelautet zu haben, als sie den Vorschlag verlauten ließ, doch gerne nach London zu fliegen. Doch warum nicht alleine reisen, warum nicht in einer Gastfamilie leben und warum nicht auf der Insel arbeiten?
Vielleicht war es das persönliche Unbehagen als Frau und ohne Begleitung in ein fremdes Land zu reisen, oder es war der Wunsch, das Erlebte mit einem vertrauten Menschen zu teilen. Welche Beweggründe auch immer im Hintergrund lagen: Ich wurde gefragt, ob ich denn nicht Lust hätte, mit nach London zu fliegen. Da ich für solche Unternehmungen immer zu haben bin, war meine Antwort ein glasklares Ja.
Nun ging es nur noch um das Wann. Der Wunschtermin für den Juni wäre zwar, was die Temperaturen anbelangt, optimal gewesen, jedoch hatte ich hier keine Zeit und so bildeten recht rasch die Osterferien eine spontane Alternative. War die Reisedauer ursprünglich für knapp zwei Wochen angesetzt, waren es am Ende noch sechs Tage London und ein Rückflug mit vier Stunden Aufenthalt in Eindhoven. Das Budget von 1000 € legte Fesseln an, auch was die Wahl des Hotels anbelangte. Doch in einer der teuersten Städte der Welt war gerade die Bescheidenheit essenziell.
Sechs Uhr morgens und ein traumhaft schönes Wetter, so präsentierte sich uns der erste Tag auf unserer London Reise. Die Sonne begann ihre ersten Strahlen über die Landschaft zu werfen, während wir auf der Autobahn zu unserem Flughafen in Treviso fuhren.
In Treviso hatte ich über das Internet einen Parkplatz unweit des kleinen Flughafens gemietet. Auf dem Parkzettel, welchen ich mir ausdrucken sollte, stand in gebrochenem Englisch etwas von einer automatischen Kennzeichenerfassung. Also dass sich die Schranken nach dem Scannen meines Kfz-Kennzeichens öffnen würden und mir dann im selben Zuge ein Exit-Ticket ausgedruckt werde. Für mich hörte sich das zwar recht nett an, doch so ganz mochte ich das nicht glauben. Nicht zuletzt da auf Google Street View keine derartige Vorrichtung am Einfahrtstor zu erkennen war. Und so ließ ich mich vorerst überraschen, denn den Zettel hatte ich schließlich zur Sicherheit noch mit.
Auf der Pianura Padana, dem fruchtbaren Tiefland Norditaliens, schien die Straße gleichsam der endlosen Schlange an Lastkraftfahrzeugen nie zu enden. Und auch wenn die zweispurige Autobahn keine Überholvorgänge erlaubte, der eine oder andere Italiener klebte bei 130 trotzdem an der Heckscheibe. Die letzten Meter ging es zwar entspannter, dafür aber um 15 € Mautkosten leichter, auf der Landstraße Richtung Zielort.
Der Flughafen Treviso (TSF), ein unscheinbarer, ockerfarbener Komplex, in dem im Erdgeschoss der Ankunftsbereich untergebracht ist und im ersten Stock der Abflug. Ohne die Aufschrift „Aeroporto“ und ein wenig Vorwissen, könnte man ihn fast übersehen. Doch worin manch einer vielleicht einen Nachteil sehen könnte, sah ich den Vorteil. Kurze Wegstrecken und wenig los machten das Reisen deutlich entspannter. Die Sicherheitskontrollen waren rasch passiert und das Anstehen für die Passkontrolle und das Boarding verliefen sehr entspannt. Also kein Vergleich zu den endlosen Schlangen am Flughafen London Stansted.
Bevor es jedoch in den Flughafen gehen konnte, mussten wir noch unser Auto abstellen. Aus der automatischen Kennzeichenerkennung wurde, wie ich es mir schon gedacht hatte, nichts. Dafür bot die Schrankenanlage an der Zufahrt zum Parkplatz D die Möglichkeit, einen Barcode einzuscannen. Praktischerweise befand sich dieser in doppelter Ausfertigung und unübersehbar auf meinem A4-Zettel, so dass sich keine 10 Sekunden später nicht nur die Schranke öffnete, sondern auch gleichzeitig mein für 51,30 € bereits bezahltes Exit-Ticket ausgedruckt wurde.
Der Service von Ryanair mag zwar nerven und auch das während des Fluges allerlei Produkte und Flyer beworben werden, doch für den Preis von 110 € für Hin- und Rückflug pro Person mochte selbst meine Wenigkeit dieses aufdringliche Keilerverhalten tolerieren. Lieber sah ich aus dem kleinen Flugzeugfenster und genoss die Aussicht, die sich mir bot. Ryanair erlaubt den Betrieb von elektronischen Geräten im Flugmodus, was mir im Punkt Fotos knipsen sehr zugegen kam.
Mit einer satten Stunde Verspätung startete schlussendlich unser Flieger. Die Boeing 737-800 zog gemütlich auf die Startbahn, um dann nach dem Abheben in einem gefühlten 70 Grad Winkel in die Lüfte zu steigen. Der Weitblick war dank des grandiosen Wetters einfach nur genial. Zuerst die Tiefebene mit den verschneiten Bergen im Hintergrund, dann die weißen Alpen, die sich wie ein langgezogener Streifen bis über den Horizont hinweg erstreckten.
Kleine Schäfchenwolken zogen über die Insel. Das Flugzeug wackelte leicht, während es zwischen den Wolken in den Sinkflug ging. Die Landebahn schien nicht mehr weit zu sein. Und dann war es so weit: Die Landeklappen fuhren in die maximale Stellung, der Boden kam gefährlich näher. Ein Atemzug, dann noch einer. Extrem unsanft: Mit einem lauten Knall, fast wären die Reifen geplatzt, und einem ordentlichen Rütteln setzte das Flugzeug auf. Die Bremsklappen schlugen auf, die Schubumkehr wurde aktiviert. Ein lautes Klatschen hallte durch den Flieger, als auf die Rollbahn umgeschwenkt wurde.
Nachdem das Vereinigte Königreich sehr gerne sein eigenes Süppchen kocht, gilt hier kein europäisches Schengener Abkommen. Will heißen: Jeder muss bei seiner Ankunft durch die Passkontrolle. Dazu wurde in der Haupthalle ein eigener Bereich geschaffen, in dem eine Vielzahl von Automaten stehen. An diesen Automaten gilt es den eigenen Pass mit der Seite des Fotos nach unten auf eine Glasfläche zu drücken, damit dieser vollautomatisch erfasst werden kann. Schlägt das wie in meinem Fall fehl, weil in der Hektik nicht richtig aufgelegt wurde, heißt es zurücktreten und nebenan zur analogen Kontrolle.
Waren die Kontrollen geschafft, hieß es einen Ticketschalter finden, um dann eine Fahrkarte für den National Express zur Liverpool Street zu kaufen. Anfangs versuchten wir unser Glück noch am Automaten, nachdem dieser allerdings keine Lust hatte, meine Kreditkarte zu akzeptieren, gingen wir zum Schalter und kauften es dort für 8 £ (10,13 €).
Anfangs mussten wir etwas suchen, bis wir den Abgang zu den Bussen fanden und uns an der Schlange für den National Express über die A8 anstellten.
Dass wir uns nun in England befinden, wurde mir erst so richtig bewusst, als wir mit dem Bus auf der Autobahn nach London fuhren. Es war anfangs ein beunruhigender und befremdlicher Anblick, die Autos auf der „falschen“ Straßenseite fahren zu sehen und unterwegs zu sein.
Schon bei der Einfahrt in die Stadt erlebten wir einen Kontrast, der sich wie ein roter Faden durch die 8,5 Millionen Einwohner zählende Metropole zog.
Es breitete sich ein Barsa, mit schwarzen Dächern, die Straße entlang aus. Verschleierte Frauen, zum Teil vollverschleiert, huschten durch die Stände, während einige Araber mit ihren langen Bärten für Recht und Ordnung zu sorgen schienen. Abseits davon schlenderten Menschen mit heruntergekommener Kleidung durch die Gassen.
Angekommen in der Liverpool Street, wo die Wolkenkratzer mit ihren spiegelnden Fassaden sich in den Himmel hinein schraubten, sahen wir nur noch Menschen in Anzug und Krawatte.
Statt direkt in unser Hotel zu fahren, hatten wir uns dazu entschlossen, unseren London Pass und die Oyster Card direkt beim Tourismus Center in der Charing Cross Road abzuholen. Die Oyster Travelcard ist eine Prepaidkarte, die mit einem bestimmten Betrag aufgeladen ist und mit der das Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von London ermöglicht wird. Für jede Zone der Stadt gilt ein fixer Tageshöchstsatz. Wird dieser Tagessatz überschritten, so ist jegliche weitere Nutzung der Oyster Card kostenlos. Es zahlt sich aus, viel unterwegs zu sein.
Um also jetzt von der Liverpool Street zu unserem Pass zu kommen, hieß es, die U-Bahn zu benutzen. Das Ticket hatten wir rasch gekauft, doch das Passieren der Absperrung bereitete uns anfangs Schwierigkeiten, denn: So wie auch der Straßenverkehr seitenverkehrt verlief, war auch der Einlass auf der anderen Seite angebracht.
Lustig wurde es auch bei den Rolltreppen, denn diese waren, wie hätte es anders sein können, verdreht. Doch wie sich in den nächsten Tagen zeigte, war nicht jede Rolltreppe „angepasst“ worden. Nicht wenige Male mussten wir uns damit abfinden, dass die Rolltreppe einmal auf der „richtigen“ Seite nach oben bzw. unten verlief und ein andermal wieder auf der „anderen“ Seite.
Wir holten also unsere beiden Karten ab und machten uns dann auf den Weg, zu unserem Hotel zu gelangen. Wir hatten uns aus preislichen Gründen für ein Hotel entschieden, das etwas außerhalb der Stadt lag. Und zwar im Stadtteil Ilford. Einer Gegend, die von den Einheimischen gemieden wird, denn es soll dort sehr gefährlich sein. Tatsächlich leben in den Bezirken Ilford und Stratford die meisten Ausländer. Unser Hotel, das Rossmore, lag zwar am Valentines Park, doch das einstige Domizil eines Adeligen war über die Jahre heruntergekommen und nur noch die Fassade der Häuser zeugte von dem Glanz und der Gloria aus den damaligen Tagen. Heute leben hier arme und kranke Menschen.
Die „Entwicklungsstadtteile“, wie sie genannt werden, sind zur Absteige für die Verlierer einer aufstrebenden Gesellschaft mutiert. Diebstähle, Gewaltverbrechen, Drogenprobleme und der viele Müll sind ein echtes Problem. Doch statt das Problem zu lösen, scheint es, als säße die Queen nur in ihrem Palast und ließe sich die Sonne auf den Bauch scheinen.